Automatisierte

Verhandlungs-
prozesse

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Gerd Neudecker

Kromberg & Schubert Automotive GmbH & Co. KG

Leiter Business Process Management

Automatisierte Verhandlungsprozesse

Automatisierte Verhandlungsprozesse

Wie klingt es, wenn Verwaltungsschalen verhandeln? Maschinelle Kommunikation ähnelt in der Grundstruktur der von Menschen. Eine Anweisung, Anforderung oder Aufgabe wird formuliert. Sie kann vom Vorarbeiter an den Werker gehen oder von Maschine zu Maschine. Daraus folgt eine Aktion des Angesprochenen. Wird eine Maschine angesprochen, wird das zwar nicht auf einen ergiebigen Meinungsaustausch hinauslaufen. Trotzdem handelt es sich um eine Weitergabe von Informationen, nur eben in Maschinensprache. Um Maschinen anzusprechen, braucht man die sogenannte Industrie-4.0-Sprache. Wesentlicher Bestandteil einer jeden Sprache sind Wörter, in diesem Kontext ist es wichtig, dass diese Wörter maschinenlesbar sind.

Aktuelle Arbeitsschwerpunkte und Ergebnisse

Die Verwaltungsschalen der Komponenten interagieren („verhandeln“) mit den Verwaltungsschalen anderer Komponenten und denen der Produktionsmittel und -prozesse. Sie nehmen eigenständig Kontakt zueinander auf und stimmen kooperative Aufgaben ab. Das heißt: Die proaktive Verwaltungsschale initiiert von sich aus Interaktionen mit anderen Industrie-4.0-Komponenten.

Das Teilprojekt 6 soll an Beispielen zeigen, wie sich das Verhandeln konkret umsetzen lässt.

Arbeitsschwerpunkte

Wichtig für die Umsetzung des autonomen und automatisierten Zusammenwirkens sind die Verhandlungsprozesse, die einerseits in den Schnittstellen der Verwaltungsschale einer Komponente, etwa eines Steckverbinders, ablaufen. Und andererseits zu einem späteren Zeitpunkt mit einem Crimp-Automaten oder der automatisierten Verarbeitung im Zuge der Montage verhandelt werden.

Dreh- und Angelpunkt in TP 6 sind proaktive Verwaltungsschalen. Das heißt, eine der Verwaltungsschalen startet eine Interaktion und nutzt Interaktionsprotokolle, also die Industrie 4.0-Sprache, um mit anderen Verwaltungsschalen zu kommunizieren und zu verhandeln. Es ist im Grundsatz definiert, wie die Struktur der Nachrichten aussehen muss, die ausgetauscht werden. Darauf baut das TP 6 weiter auf. Anforderungen werden verfeinert und auf den Leitungssatz zu übertragen. Es soll geklärt werden, wie die Nachrichten in Interaktionsprotokollen mit konkreten Verwaltungsschalen zusammenwirken. An bestimmten Stellen müssen die Verwaltungsschalen, also die Software-Agenten, die miteinander verhandeln, Entscheidungen treffen. Zum Beispiel: Auf der Seite des Auftraggebers sind der beste Preis, früheste Lieferzeit, CO2-Fußabdruck gefragt. Beim Auftragnehmer sind die technische Machbarkeit, Materialverfügbarkeit, Wirtschaftlichkeit von großer Bedeutung. Diese Entscheidungsalgorithmen oder ein Berechnungsalgorithmus zur Berechnung eines Preises für das Angebot müssen in irgendeiner Form in Software implementiert werden. Wichtig ist an der Stelle auch, dem Menschen zu jeder Zeit einen Einblick geben zu können, was die Software-Agenten miteinander verhandeln und wo der Verhandlungsprozess konkret steht.

Stand der Arbeiten

Zur Abstimmung mit den anderen Teilprojekten, beispielsweise gibt es Überschneidungen mit TP 3, haben bereits einige Treffen stattgefunden. Das TP6 wurde im Dezember 2022 gestartet.

Um die automatisierten Verhandlungsprozesse sinnvoll zu simulieren, wurden erste Verhandlungsszenarien umrissen. Aus den möglichen Szenarien zur Ausschreibung eines Halbfabrikates fiel die Wahl auf ein verdrilltes Leitungspaar als Zukaufteil. Das heißt: Ein Tier 1 (Automobilzulieferer) löst aus einem kompletten Leitungssatz ein kleines Leitungspaar heraus, definiert es als Zukaufteil und bestellt es in einem unternehmensübergreifenden Prozess bei einem Lieferanten (Tier 2). Anschließend soll der Auftrag für das Halbfabrikat geeignete Produktionsressourcen ausfindig machen. Die Projektbearbeiter haben hier Aspekte einfließen lassen, die ein wenig Verhandlungsmasse bieten. Wie etwa: Die verdrillte Leitung könnte in zwei Stufen und von zwei unterschiedlichen Produktionsressourcen hergestellt werden. Zum einen können die beiden Einzelleitungen auf die vorgesehene Länge geschnitten und kontaktiert werden. Eine zweite Maschine verdrillt die Leitungen. Zum anderen gibt es auch Maschinen, die das in einem Arbeitsschritt erledigen. Auch das Anbringen des Verdrillschutzes ist in der Praxis nur teilweise automatisiert. Oft passiert es händisch. Das sind genau die Aspekte, die einen Verhandlungsspielraum bieten und die sich zum Austesten eignen.

Zurück zum verdrillten Leitungspaar: Dasselbe Halbfabrikat taucht nun in einem zweiten Szenario auf: Hier soll ein Verhandlungsprozess durchlaufen werden – für die Verwaltungsschale, seine Halbfabrikat-Instanz und den Verwaltungsschalen möglicher Produktionsressourcen. Damit kann ein Produktionsauftrag einer konkreten Produktionsressource zugewiesen werden. Aufgabe des TP 6 ist es, sich zu überlegen, wie eine solche aktive Verwaltungsschale, wie sie für die Verhandlungsprozesse gebraucht wird, technisch umsetzbar ist. Dafür sollen die aktiven Anteile der Verwaltungsschale als BPMN-Workflows modelliert werden – also als Workflowmodelle, die auf eingehende Nachrichten proaktiv reagieren und tätig werden.TP 6 setzt sich außerdem mit den „Capabilities“ auseinander. Gemeint sind standardisierte Beschreibungen der Fähigkeiten: Was muss die Maschine leisten können bzw. welchen Funktionsumfang kann sie anbieten?

Zur Ausführung der Verhandlungen werden Verwaltungsschalen benötigt, die eigene Verhaltensmodelle implementieren und in der Lage sind, proaktiv einen Nachrichtenaustausch zu initiieren. Je nach Erscheinungsform und Fähigkeiten, werden Verwaltungsschalen in drei Typen unterteilt, siehe folgende Abbildung.

Typ 1 stellt eine passive VWS dar, die in Dateiformat Informationen zu einem Asset bereitstellt.

Auf VWS vom Typ 2 kann über eine Programmierschnittstelle (API) zugriffen werden. Die Programmierschnittstelle ermöglicht dabei das Auslesen der Teilmodelle und Teilmodellelemente, das Bearbeiten von Teilmodellen in der VWS (Hinzufügen/Entfernen), das Aktualisieren von Teilmodellelementen, sowie das Aufrufen von Operationen, um direkt mit dem Asset zu interagieren.

Der Typ 3 klassifiziert VWS, die in der Lage sind, über definierte Interaktionsprotokolle (I4.0-Sprache) mit anderen VWS zu interagieren, wobei sie in der Lage sind, aufgrund der vorliegenden Informationen autonom Entscheidungen zu treffen.

Als Ergebnis wurde ein Verhandlungskonzept entwickelt, das sich zusammensetzt aus einem Konzept zur Umsetzung der proaktiven Verwaltungsschale (Typ 3) und der Beschreibung von vier konkreten Verhandlungsszenarien aus der Leitungssatzdomäne, die den Rahmen bilden für die Interaktionen der proaktiven Verwaltungsschale. Allen vier Verhandlungsszenarien ist das semantische Protokoll des Ausschreibungsverfahrens zugrundgelegt, das aber aufgrund der Anforderungen der Szenarien verfeinert oder wenn notwendig weiterentwickelt wird.

Nächste Schritte und erwartbare Ergebnisse

Zum einen geht es um das Thema Capability und wie sich das in der Verwaltungsschale abbilden lässt. Angepeiltes Ziel ist, anhand des Leitungssatz-Beispiels konkrete Verwaltungsschalen aufzubauen. Für die Modellierung der Capabilities wird das Projektteam vom ifak (Institut für Automation und Kommunikation) aus Magdeburg unterstützt.

Der zweite Schritt dreht sich um die technischen Aspekte: Die Anbindung der aktiven Verwaltungsschale an andere Verwaltungsschale und an die „Außenwelt“.

Arbeiten mit ECLASS: Die Industrie 4.0-Sprache besitzt ein Basisvokabular, das um leitungssatzspezifische Definitionen erweitert werden muss. Dazu wird auf den ECLASS-Standard aufgesetzt, in dem sich die fachliche Terminologie der Leitungssatz-Domäne wiederfindet und mit dem die Systeme standardisiert miteinander kommunizieren können.

Für die Umsetzung der aktiven Verwaltungsschale werden die aktiven Komponenten als ereignis- und nachrichtengesteuerte Prozesse abgebildet (BPMN-Workflows). Außerdem können Verhandlungsprozesse definiert und ausgeführt werden. Es liegt ein vollständiges Verhandlungskonzept vor, das eine automatisierte Entscheidungsfindung auf der Grundlage von Daten und Informationen ermöglicht, sowie Abläufe oder Strategien generiert.